Prof. Dr. Bodo Melnik und seine Arbeitsgruppe haben uns wieder einen bedeutenden Beitrag zur Klärung der biologischen Wirkungsweise der Muttermilch geliefert. Sie zeigen auf, wie auf molekularbiologischer Ebene die Muttermilch die Entwicklung des gestillten Kindes beeinflusst.

Melnik BC, Stremmel W, Weiskirchen R, John SM, Schmitz G: Exosome-Derived MicroRNAs of Human Milk and Their Effects on Infant Health and Development.
Biomolecules. 2021 Jun 7;11(6):851. doi: 10.3390/biom11060851.

Viele biologisch aktive Komponenten der Muttermilch unterstützen das Wachstum, die Gesundheit und die Entwicklung des Säuglings. Milch liefert dem Säugling ein breites Spektrum extrazellulärer Vesikel (MEV), die aus den Zellen des Brustepithels stammen.

Obwohl das gesamte Spektrum der MEVs von funktioneller Bedeutung für den heranwachsenden Säugling zu sein scheint, geht die Mehrzahl der neueren Studien auf die MEV-Fraktion der Milch-Exosomen (MEX) und deren miRNA ein, die im Fokus dieser Übersichtsarbeit stehen.

MEX und die dominante miRNA-148a spielen eine Schlüsselrolle bei der intestinalen Reifung, der Barrierefunktion des Darmes und der Unterdrückung der Nuklearfaktor-κB (NF-κB)-Signalisierung und könnten daher bei Prävention und Behandlung der nekrotisierender Enterokolitis helfen.

MEX und ihre miRNAs gehen in den Körper des Kindes und können die epigenetische Programmierung verschiedener Organe wie Leber, Thymus, Gehirn, Pankreasinseln, beigem, braunem und weißem Fettgewebe sowie den Knochen beeinflussen.

Translationale Evidenzen deuten darauf hin, dass miRNAs der MEX die Expression der allumfassenden zellulären Regulatoren kontrollieren: DNA Methyltransferase 1, die wichtig für die Hochregulierung von Entwicklungsgenen wie Insulin, Insulin-like Growth Factor-1, α-Synuclein und Forkhead Box P3 – und das Rezeptor-interagierende Protein 140, das für die Regulation mehrerer nukleärer Rezeptoren wichtig ist. MEX-abgeleitete miRNA-148a und miRNA-30b können die Expression des Uncoupling Protein 1 stimulieren, dem Auslöser der Thermogenese, der weißes in beiges/braunes Fettgewebe umwandelt. MEX müssen als Signalgeber angesehen werden, die aus dem mütterlichen Laktationsgenom freigesetzt werden und Wachstum, Reifung, immunologische und metabolische Programmierung der Nachkommenschaft fördern. Tiefere Einblicke in die Molekularbiologie der Milch lassen den Schluss zu, dass Säuglinge sowohl „brusternährt“ wie auch „brustprogrammiert“ werden.

In dieser Hinsicht ist MEX miRNA-defiziente Formelnahrung kein adäquater Ersatz für das Stillen/die Muttermilchernährung, dem Geburtsrecht aller Säugetiere.

Ein möglicher Zusammenhang mit dieser Erkenntnis bietet sich bei der folgenden Publikation:

Shared breastfeeding & other early multiple sclerosis risk factors: A case-control study.

Alkhawajah NM, Hussain-Alkhateeb L, Alshamlan YA, Almohaini MO, Aleissa GA, Muayqil TA, Aljarallah S. Mult Scler Relat Disord. 2021 May;50:102812. doi: 10.1016/j.msard.2021.102812. Epub 2021 Feb 4.

Säuglinge, die nicht nur von der eigenen Mutter, sondern auch von anderen Frauen gestillt wurden, hatten ein geringeres Risiko an Multipler Sklerose zu erkranken. Ein Beweis für die Möglichkeit erbliche Veranlagungen zu modifizieren?

Bereits 2012 wurde hier der Weg des „Überschreibens“ der kindlichen Erbinformation durch mRNA der Muttermilch dargestellt:

Irmak MK, Oztas Y, Oztas E: Integration of maternal genome into the neonate genome through breast milk mRNA transcripts and reverse transcriptase. Theoretical Biology and Medical Modelling 2012, 9:20 doi:10.1186/1742-4682-9-20

Muttermilch enthält Microvesicles mit mRNA, die an das gestillte Kind weitergegeben werden. Die Microvesikel stammen von den Milchbildungszellen. Sie werden mit der Milch an das Kind weitergegeben, wo sie unverdaut über die Darmzellen, das Lymphsystem und den Brustmilchgang in die obere Hohlvene gelangen. Von dort gehen sie mit dem Blutkreislauf zu den Zielzellen der Organe, um dort in die Zelle zu gelangen und das kindliche Genom zu beeinflussen/verändern.

Die Autoren halten dies für eine Erklärung, warum ehemals gestillte Kinder mütterliche Spenderorgane besser vertragen.

Des Weiteren halten sie die Übertragung dieser Partikel in der Frauenmilch für die Grundlage einer Gentherapie für Neugeborene, die bereits pränatal mit einem Gendefekt diagnostiziert wurden. Sie gehen davon aus, dass mit nativer Frauenmilch von gesunden Frauen gezielt diese Defekte mit „überschrieben“ werden können.

Mehr zum Thema Mikrovesikel in der Milch verschiedener Säugetiere können Sie hier lesen:

Biological Activities of Extracellular Vesicles and Their Cargos from Bovine and Human Milk in Humans and Implications for Infants.

Zempleni J, Aguilar-Lozano A, Sadri M, Sukreet S, Manca S, Wu D, Zhou F, Mutai E. J Nutr. 2017 Jan;147(1):3-10. doi: 10.3945/jn.116.238949. Epub 2016 Nov 16.

Comparative analysis of dietary exosome-derived microRNAs from human, bovine and caprine colostrum and mature milk. Yun B, Kim Y, Park DJ, Oh S. J Anim Sci Technol. 2021 May;63(3):593-602. doi: 10.5187/jast.2021.e39. Epub 2021 May 31.